Mit einer Verspätung bin ich schließlich in Rochester angekommen und wurde herzlich von meiner Kollegin Sierra abgeholt und zum Bethany House, meinem neuen zu Hause, gefahren.
Am nächsten Tag ging es dann direkt mit der Arbeit für mich los und ich wurde in den Ablauf des Bethany House eingeführt.
Das Haus gehört den „Catholic Workers of Hospitality“ an, die verschiedene Einrichtungen auf der ganzen Welt haben und im Sinne von Dorothy Day arbeiten. Insgesamt können bis zu zehn Frauen im Bethany House unterkommen, die bis zu 45 Tage hier leben dürfen. Jede dieser Frauen hat ihren Weg aufgrund von Wohnungslosigkeit zu uns gefunden, jedoch hat jede Aufnahme einen ganz eigenen Hintergrund. Das primäre Ziel des Hauses stellt die Wohnungssuche dar. Während einige der Bewohner in ihr eigenes Apartment ziehen, gehen andere ins betreute Wohnen oder in eine andere Einrichtung mit Übernachtungsmöglichkeit für wohnungslose Menschen. Neben der Arbeit mit unseren Gästen haben weitere Frauen die Möglichkeit hier einmal pro Monat sogenannte „Foodbags“ zu erhalten. Bis zu zehn Frauen können pro Tag und ohne Anmeldung herkommen und erhalten Konservendosen, Nudeln, Reis, Cornflakes, Gemüse, Obst und Fleisch. Auch Pampers, Babynahrung oder Babykleidung können die Frauen bekommen.
Hin und wieder kommen die Frauen auch lediglich vorbei um eine Tasse warmen Kaffee zu trinken und Unterstützung bei der Beantragung finanzieller Hilfen zu erhalten. Zur Stärkung der Gemeinschaft bieten wir zudem zweimal pro Woche einen „Community-Lunch“ und einmal pro Woche eine kleine Andacht mit anschließendem Dinner an. Hierzu sind alle herzlich eingeladen.
Ich bin unheimlich froh, dass ich mich für diese Einsatzstelle entschieden habe. Nach meinem Studium der Sozialen Arbeit ist das ein super Start ins Berufsleben und ich kann unheimlich viele erste praktische Erfahrungen sammeln. Auch wenn nicht jede aus unserem Team einen Abschluss in einem sozialen Bereich absolviert hat, scheint mir die Zusammenarbeit hier sehr professionell. Es gibt regelmäßige Supervisionen und Teambesprechungen. Nicht einmal aus Deutschland bin ich das immer in dieser Regelmäßigkeit gewohnt.
Unterstützt wird unsere Arbeit dabei von unzählig vielen Freiwilligen oder Praktikantinnen, die uns z.B. bei der Ausgabe der „Foodbags“ oder der Zubereitung der Mahlzeiten helfen. Diese Zusammenarbeit aus engagierten Rentnern, interessierten Studenten, Menschen mit Beeinträchtigung, sowie ehemaligen Wohnungslosen und Gästen macht die Arbeit zu etwas ganz Besonderem. Gestützt wird die Arbeit dabei immer auf den Glauben zu Gott und der Liebe zum Nächsten.
Ich arbeite hier in regelmäßigen Schichten, sodass ich auch während des Tages immer genug Freizeit habe, um die Stadt zu erkunden oder kleine Ausflüge zu machen. So hatte ich schon nach kurzer Zeit die Möglichkeit die Niagara Fälle zu sehen oder nach New York City zu fahren. Hier in Kontakt zu treten scheint bislang auch einfacher als in Deutschland zu sein. Es fällt leicht überall in ein Small-Talk Gespräch verwickelt zu werden und dadurch entweder über interessante Angebote in der Stadt zu erfahren oder Freunde kennenzulernen. So habe ich gleich in der ersten Woche Freunde kennengelernt, mit denen ich im November mein erstes Thanksgiving gefeiert habe.
Der Alltag im Bethany House ist schnell für mich zur Normalität geworden. Der Morgen ist dabei üblicherweise durch unsere Ausgabe der „Foodbags“ gefüllt. Manchmal führe ich auch die sogenannten „Intakes“. Dies ist ein Fragebogen, den wir mit Frauen durchführen, die an einem Zimmer unseres Hauses interessiert sind. Nach dem durchführen des Interviews wird dann entschieden, ob die Frau in unserem Haus aufgenommen wird. Erscheint sie für uns psychisch instabil und benötigt intensivere Hilfen, so versuchen wir sie in eine andere, besser geeignete Einrichtung unterzubringen.
Der Nachmittag hingegen ist eher auf unsere aktuellen Gäste ausgelegt. Wir helfen unseren Bewohnerinnen eine neue, im besten Fall permanente Unterkunft zu finden. Keiner unserer Gäste muss nach dem Ablauf der 45 Tage auf der Straße leben. Für jeden wird eine Lösung gefunden.
Schon nach kurzer Zeit habe ich selbstständig Schichten übernommen und mich dem Aufgabenbereich „Foodlink“ gestellt. Foodlink verwaltet die überschüssigen Nahrungs- und Lebensmittel der umliegenden Supermärkte und verkauft sie zu einem günstigeren Preis (bei einem Überschuss eines bestimmten Produkts zum Teil auch kostenlos) an verschiedene soziale Einrichtungen der Stadt. Einen Teil der von uns dort erworbenen Produkte wird für unsere Wohnungslosenunterkunft verwertet, der andere Teil für unsere „Foodbag“-Ausgabe. Durch den von mir übernommenen Aufgabenbereich aktualisiere ich wöchentlich die Liste der Familien, die von uns mit Reis, Nudeln, Fleisch, Gemüse, Obst und verschiedenen Konservendosen versorgt wurden.
Außerdem bin ich für den wöchentlichen Einkauf und die Bestellung der benötigten Waren zuständig und kümmere mich monatlich um die dazugehörige Statistik. Da wir von Foodlink unterstützt werden, gibt es hier genaue Vorgaben zum Verwenden der Lebensmittel, die mit regelmäßigen Kontrollen einhergehen.
Ein weiterer, von mir übernommener Aufgabenbereich ist das Schreiben von „Thank You-Notes“. Jede Person oder Organisation, die dem Bethany House Spenden zukommen lässt, erhält einen solchen Brief. Spenden werden in jeglicher Form von uns angenommen und gehen glücklicherweise täglich bei uns ein. Da wir auf finanzielle Hilfen vom Staat verzichten, sind wir auf diese Spenden auch angewiesen. Inhalt des Briefes sind zum einen die Auflistung der eingegangenen Spenden und zum anderen eine Beschreibung der Catholic Worker Bewegung. Mit diesem Schreiben bedanken wir uns für die Unterstützung unserer Arbeit und die Bedeutung jeder einzelnen Spende.
Rochester erkunden
Neben meinem Dienst in meiner Einsatzstelle habe ich zudem die Möglichkeit Rochester und seine Umgebung zu erkunden. Rochester selbst liegt direkt am Lake Ontario und stellt nach Buffalo und New York City die drittgrößte Stadt des Bundestaates dar. Von besonderer Bedeutung waren lange Zeit seine zwei großen und internationalen Unternehmen: „Kodak“ und „Xerox“ – bei denen schon fast jeder einmal beschäftigt war und deren Erfolg immer wieder am anderen Unternehmen gemessen werden wollte. Bekannt ist zudem die „Eastman School of Music“, die zu einer der wichtigsten Musik-Hochschulen des Landes zählt und auch viele internationale Musik-Studenten anzieht – ebenso die University of Rochester.
Da das Erlernen der deutschen Sprache zur Grundausbildung der Musik-Studenten gehört, treffe ich auch immer wieder auf junge Menschen, die sich an der deutschen Sprache versuchen. Da sich meine Englisch-Kenntnisse in den letzten Monaten zum Glück automatisch stark verbessert haben, habe ich mittlerweile kaum noch Schwierigkeiten in der Kommunikation. Die Tatsache, dass ich die einzige deutsche in meiner Einsatzstelle bin, hat dabei sehr geholfen. Auch wenn es einem den Anfang des Freiwilligendienstes vielleicht vereinfachen würde und die Angst nimmt, kann ich nur jedem empfehlen es alleine zu versuchen. Dadurch, dass viele US-Amerikaner selbst nur Englisch sprechen und lediglich einige französische oder spanische Wörter übersetzen können, erwarten sie auch keine hervorragenden Englisch-Kenntnisse. Die Amerikaner sind sehr schnell zu begeistern und tatsächlich scheint es hier völlig normal zu sein, dass man aus dem Ausland kommt.
Immer wieder treffe ich hier auf Menschen, die selbst in die USA eingewandert sind oder für mehrere Jahre im Ausland gelebt haben. Auch zu Deutschland haben erstaunlich viele einen Bezug und können mir Geschichten zu ihren Erfahrungen erzählen. Alles scheint sehr international zu sein.