Mein erster Eindruck der Arche war: Sie ist riesig!! Eine große Einfahrt, die sich durch das ganze große Grundstück der Arche zieht und an den Seiten Häuser, Gärten und der Pool. All das konnte ich auf den ersten Blick gar nicht richtig erfassen, doch in meiner ersten Woche lernte ich dann so langsam alle Orte der Arche kennen. Zum Teil entdecke ich aber auch nach drei Monaten immer noch neue Stellen, die ich vorher noch nicht kannte.
Ich wurde sofort von meiner Mitbewohnerin, mit welcher ich mir eine WG direkt neben „casa vigna“ (das Haus, in dem ich arbeite) teile, und der anderen deutschen Freiwilligen, herzlich in Empfang genommen. Sie hatten gerade Mittag gekocht und nachdem ich eine Dusche nach der langen Fahrt genommen hatte, aßen wir zusammen. Dann wurde mir das Haus gezeigt, wo aber wenig los war, weil ich genau während der „siesta“ angekommen war. Bei der „merenda“ (in Deutschland ist das das Kaffeetrinken am Nachmittag) habe ich zum ersten Mal die „ragazzi“ (Bewohner*innen) des Hauses kennengelernt. Das war für mich ein bisschen überfordernd, da ich mir viele neue Gesichter und Namen merken musste, direkt italienisch sprechen sollte und so viel los war, dass ich mich erst einmal an alles gewöhnen musste.
Nach drei Monaten kann ich aber sagen, dass mir jeder der ragazzi so sehr ans Herz gewachsen ist, dass ich keinen missen möchte und ich mich schon nach meinen freien Tagen (die immer variieren) bereits wieder darauf freue, ein freudiges „eccola!“ (da ist sie ja!) zu hören.
Die Arche „Il Chicco“ ist in der Stadt Ciampino in Rom und das Gelände ist fast direkt an der Hauptstraße. Dadurch kann man auch schnell nochmal frisches „Brot“ (Weißbrot aus Italien und auf keinen Fall vergleichbar mit deutschem Brot) für das Abendessen holen. Es gibt die Häuser „l‘Ulivo“ und „La Vigna“ (in dem ich arbeite). „Chicco“ ist ein weiteres Haus, aber da wohnt keiner mehr, die ragazzi wurden auf die beiden neuen Häuser aufgeteilt. In jedem Haus wohnen ungefähr zehn ragazzi, zusammen mit den Freiwilligen und auch den Assistent*innen, die in der Arche wohnen. Es gibt außerdem den „Daycare Center“, wo die ragazzi jeden Tag hingehen und ihren Tag dort verbringen, manchmal gemeinsam mit uns. An Halloween haben wir dort zum Beispiel gemeinsam eine Party gefeiert, wo jeder sein Können beim Tanzen zeigen konnte oder sich am leckeren Buffet bedienen durfte. Außerdem gibt es einen Pool, ein Gewächshaus, einen Garten, das Büro und die Kapelle. Vieles sieht man erst wenn man dort etwas macht.
In La Vigna arbeite ich entweder die Morgen oder die Abendschicht. Morgens beginnt sie um 8 Uhr und endet um 15 Uhr und abends beginnt sie um 15 Uhr und endet um 22 Uhr.
Morgens bereite ich zuerst das Frühstück für die ragazzi vor (jeder hat einen anderen Geschmack, daher mache ich zehn verschiedene Frühstücke!) und decke dann den Tisch, wobei ich aber fast immer Hilfe von den ragazzi bekomme, zumindest von denen, die schon wach sind. Vor kurzer Zeit habe ich angefangen, den Assistent*innen zuzuschauen, wie sie die ragazzi fertig machen (duschen/anziehen/etc.), damit ich diese Tätigkeiten auch bald alleine machen kann. In freien Momenten mache ich dann die Wäsche, lege sie zusammen und sortiere sie in die Fächer der ragazzi ein. Wenn ich morgens nach dem Frühstück mit zuhause bleibe, ist es sehr entspannt. Die ragazzi, die die Arche nicht verlassen können (bzw. nur mit sehr viel Aufwand und vielen Assistent*innen) bleiben mit einem oder zwei Assistent*innen zuhause und wir gehen entweder ins „Snouzerland“ (ein abgedunkelter Raum mit Entspannungsmusik, Lichterketten, Sitzsäcken, einer Hängematte, Massagebällen und vielen Dingen mehr, der zur Stimulation und zur Entspannung genutzt wird), wir spazieren durch die Arche, sitzen im Garten, hören Musik (vor allem Kinderlieder sind ein Muss) oder kuscheln einfach. Die ragazzi, die die Arche verlassen können, machen entweder einen größeren Ausflug oder gehen ins Laboratorium/Day-Care-Center arbeiten. Ich war bei Ausflügen ans Meer, an den Lago Albano, wo wir spazieren waren, in den IKEA (in den wir einmal die Woche fahren um Pflanzen für unser Gewächshaus abzuholen, die früher verkauft wurden, was aber durch Corona gerade nicht geht), oder ins Einkaufszentrum dabei. Jedes Mal darf auch der Barbesuch nicht fehlen, welcher zu meinem persönlichen Highlight geworden ist. Jeder bekommt dann einen Kaffee und ein „Cornetto“. Ich passe bei den Ausflügen auf, dass keiner abhandenkommt, unterstütze beim Gehen, und sorge ein bisschen für gute Stimmung!
Wenn wir zuhause bleiben, bin ich bei der Probe der „Chiccosband“ dabei und bin seit kurzer Zeit sogar Mitglied. Nächste Woche haben wir ein Konzert am Meer und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich sei nicht aufgeregt!
Samstags ist unser Kino- und Pizzatag. Alle schauen gemeinsam einen Film mit Popcorn und Chips. Nach der Tagesaktivität helfe ich beim Essen, das bedeutet, ich decke den Tisch, schneide Essen in kleinere Stücke, spüle anschließend alles und putze die Tische, die Küche und den Boden. Nach dem Essen schauen wir alle gemeinsam Nachrichten (TG1), und ich kann stolz erzählen, dass ich sogar schon einiges verstehe. Für die ragazzi beginnt danach (ab 15 Uhr) die siesta, alle gehen auf ihre Zimmer und ruhen sich aus. Ich koche währenddessen gemeinsam mit den Assistent*innen die merenda und das Abendessen. Um 17 Uhr essen wir gemeinsam die merenda. Anschließend spüle ich wieder das Geschirr. Jetzt verbringen wir alle gemeinsam die Zeit bis zum Abendessen, was immer anders aussehen kann. Wir machen Musik, unterhalten uns und erzählen von unserem bisherigen Tag, schauen Fernsehen, gehen in die Kapelle, um zu beten oder manchmal auch zuhause, oder passend zur Jahreszeit, schmücken wir gemeinsam den Weihnachtsbaum und backen Plätzchen. Nach dem Essen helfe ich wieder alles zu putzen und das Geschirr wegzuräumen. Meist ist dann noch eine Stunde Zeit für Entspannung, bevor meine Schicht abends endet. Manchmal mache ich noch einen Kräutertee für alle und wir schauen einen Film.
Ich kann sagen, dass es mir sehr gut geht in der Arche. Ich bin sehr dankbar, für alle Menschen hier in der Arche, die mich immer neu fordern und auf die Probe stellen, mich aber genau wie auch alle in Deutschland unterstützen. Es gibt natürlich nicht nur schöne Momente, sondern auch schwierige. Doch eine Umarmung gegen schlechte Laune und Traurigkeit bekommt man in La Vigna immer!
Im Laufe des Jahres wurden die Coronaverordnungen in Rom gelockert und das Laboratorium wieder eröffnet. Dort arbeiten die Bewohner*innen vormittags und gehen nach dem gemeinsamen Mittagessen wieder nach Hause. Das fand bis jetzt immer nur mit den ragazzi aus dem eigenen Haus statt (in meinem Fall Vigna). Jetzt gibt es vier verschiedene Gruppen (Universo, Mulino, Nido und Natura), in welche die ragazzi nach ihren Fähigkeiten und Interessen eingeteilt wurden und dort gemeinsam arbeiten, häuserübergreifend. Ich bin in der Gruppe „Universo“. In meiner Gruppe sind sieben ragazzi, wovon die meisten autistisch sind und keiner verbal kommuniziert. Das erfordert viel Aufmerksamkeit, vor allem da ich selbst nur eine ragazza aus meinem Haus gut kenne. Sie ist für mich wie ein „Safe Space“, also gibt sie mir etwas Sicherheit, da ich mich auf alle anderen erst noch neu einlassen und sie kennenlernen muss. Natürlich habe ich alle vorher schon ab und zu kurz in der Gemeinschaft gesehen, allerdings kenne ich ihr Verhalten, ihre Bedürfnisse und das was sie mögen oder auch nicht noch gar nicht. Zu Beginn habe ich mich auch wieder so gefühlt, wie damals, als ich im September auf 10 neue ragazzi aus meinem Haus gestoßen bin – komplett überfordert. Dadurch, dass ich die Beziehung ohne verbale Kommunikation aufbauen muss und das Vertrauen anders gewinnen muss, wird mir das ganze nicht einfach gemacht. Ich beobachte wieder viel und versuche herauszufinden, wie ich mit den ragazzi umgehen kann. Eine Frau mag es gerne, die Hände eingecremt zu bekommen und Nagellack aufzutragen und so kann ich mich langsam herantasten. Ich kann mittlerweile einfacher Signale deuten, was ihre Grundbedürfnisse angeht, wie beispielsweise „ich habe Hunger“, „ich muss auf die Toilette“, das mag ich, das nicht. Meine Gruppe macht keine „Arbeit“ in dem Sinne, sondern wir versuchen, sie anders zu fordern. Wir spielen Memory, machen Seifenblasen oder lesen ein Buch. Tatsächlich sind diese „simplen“ Dinge auch sehr anstrengend, auch für mich. Vor allem das Essen in den neuen Gruppen hat immer einen Lautstärkepegel, an den ich mich auch erst einmal wieder gewöhnen musste. Die anderen Gruppen haben ihre eigenen Aufgaben. Natura ist die Naturgruppe. Sie gehen zu IKEA, holen Pflanzen ab, sortieren sie und packen die Erde in Säckchen ab, die später auch wieder verkauft wird. Außerdem machen sie manchmal Ausflüge in die Natur. Im Mulino sind die Bastler*innen am Werk, hier wird getöpfert, Lesezeichen hergestellt oder Klanghölzer angemalt, wobei auch alles verkauft wird. Im Nido sind die ragazzi, die im Rollstuhl sitzen. Leider weiß ich hier nicht genau, was gemacht wird, da ich hier noch nie zugesehen habe. Es ist super interessant, nochmal andere Leute besser kennenzulernen und ich finde es gut, dass wir am Tag mehr machen.