Zu der L‘ Arche Gemeinschaft hier in London gehören über 100 Menschen mit und ohne Lernbehinderungen. Die Arche liegt im Stadtteil West Norwood, im Süden von London, ca. 30 Minuten mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Stadtzentrum entfernt. Die Arche besteht aus drei Gruppen: der Olive Tree Group („Olivenbaum Gruppe“), der Apple Tree Group („Apfelbaum Gruppe“) und der Oak Tree Group („Eichen Gruppe“), ich arbeite in letzterer Gruppe. Zu jeder Gruppe gehören zwei bis drei Häuser, in denen jeweils zwei bis sieben Core Members, so werden die Gemeinschaftsmitglieder mit Lernbehinderungen genannt, leben. Zudem gibt es das Office, also das Büro der Arche, den Garten, der unter der Schirmherrschaft der Olive Group steht und den Workshop (Craft), also eine Werkstatt, die unter der Schirmherrschaft der Oak Group steht. In jedem Haus arbeiten Assistants, so wie ich, die die Menschen in ihrem Alltag unterstützen. Manche Assistants wohnen mit dem Core Members zusammen in den Häusern und andere wohnen in separaten Häusern und Wohnungen mit anderen Assistants zusammen. Wenn die Assistants ein paar Jahre in der Arche arbeiten, werden sie zu Senior Assistants und tragen dann etwas mehr Verantwortung, weisen zum Beispiel neue Assistants ein, bestellen die Medikamente oder kümmern sich um die Einhaltung der Sicherheitsstandards. Außerdem gibt es den Deputy- (stellvertretenden) und den House Coordinator in jeder Gruppe. Diese Menschen schreiben beispielsweise die Dienstpläne, planen Urlaube und sind die Vorgesetzten der Assistants, also die Leiter der Häuser. Prinzipiell arbeiten alle Assistants mit allen Core Members in ihrer Gruppe, aber jeder Core Member hat einen Key Worker, also einen Assistant, der speziell für sie zuständig ist und zum Beispiel ihre Finanzen regelt. Es gibt zudem live-in Assistants, die in der Arche bzw. den Häusern der Arche leben und live-out Assistants, die regulär angestellt sind und in ihren eigenen Wohnungen leben.
Was mache ich bei der Arbeit? Was sind meine Aufgaben?
Grundsätzlich besteht meine Aufgabe darin, die Core Members in ihrem Alltag zu unterstützen und sie bei ihren Tätigkeiten zu begleiten, damit sie möglichst unabhängig leben können. Das schließt emotionale, physische und praktische Unterstützung mit ein, allerdings ist die physische Unterstützung, also hauptsächlich der Pflegeaspekt, äußerst gering in unserer Gruppe. Alle Core Members können den Großteil ihrer Morgen- und Abend-Routine alleine bewältigen, das sieht aber in den anderen Gruppen teils sehr anders aus.
Die einzelnen Aufgaben und Routinen sind je nach Wochentag und Person verschieden. Es gibt viele unterschiedliche Schichten. Unter der Woche gibt es die Split Shift, also geteilte Schicht, bei der wir von 7:30 bis 9 Uhr und dann wieder von 16 bis 21 Uhr arbeiten. Wenn wir in der Werkstatt arbeiten, bleiben wir normalerweise von 9 bis 17 Uhr dort. Am Wochenende gibt es die Morgenschicht, bei der wir von 9 bis ca. 14 Uhr arbeiten und die Abendschicht, von 14 Uhr bis 21 Uhr. Die Schichten können aber auch gemischt sein, sodass ich zum Beispiel an einem Morgen im Haus arbeite und die Morgenroutine begleite (7:30 bis 9 Uhr), dann Core Members zu ihrer Arbeit bringe, zum Beispiel mit dem Bus zum College, an dem sie verschiedene Kurse besuchen, (9 bis 12 Uhr) und dann ein paar Stunden im Workshop arbeite und die Core Members wieder vom College abhole (14:30-16 Uhr). Wir haben eigentlich immer an zwei aufeinander folgenden Tagen frei, in meinem Fall Donnerstag und Freitag.
Zu Dienstbeginn gucken wir sich zuerst das Kommunikationsbuch vom Haus an und den Tagesplan, um zu wissen, was an dem Tag ansteht, und Nachrichten der anderen Assistants zu lesen. Unsere Gruppe hat momentan zwei Häuser, das Elmstone, in dem 5 Menschen wohnen und Carmel's Haus, in dem Carmel alleine wohnt. Im Elmstone arbeiten immer zwei Assistants zusammen, und manchmal gibt es noch einen dritten, der eingewiesen wird, also noch „shadowing Zeit“ (wörtlich. „Schatten Zeit“) hat, in der neue Assistants lernen und den anderen über die Schulter gucken, so wie ich in den ersten Wochen. Ich erzähle im Folgenden hauptsächlich von der Routine im Elmstone.
Wenn wir morgens Dienst haben, dann wecken wir die Core Members wochentags auf, am Wochenende warten wir, bis sie aufstehen wollen. Manche Menschen hören erst ein bisschen Radio und kommen dann zum Frühstück nach unten in das Esszimmer, andere baden jeden morgen mit der Unterstützung eines Assistants, und wieder andere machen sich selbstständig fertig. Manche Menschen werden bei der Frühstückszubereitung von den Assistants unterstützt, andere müssen nur grob beaufsichtigt werden, sodass sie beispielsweise den Toaster sicher bedienen. Die Assistants frühstücken normalerweise mit den Core Members zusammen. Alle Bewohner bei uns trinken entweder koffeinfreien Tee oder Kaffee. Anschließend werden die Medikamente verabreicht, aber natürlich nur von den Assistants, die bereits das Medikamententraining erfolgreich abgeschlossen haben. Dann machen sich alle Leute fertig für den Tag und packen ihr Mittagessen ein, normalerweise das Essen, das es am Abend zuvor gab.
Einige der Menschen, die an dem Tag in der Werkstatt arbeiten, gehen selbstständig dort hin, andere werden begleitet. Die Werkstatt liegt direkt neben den Wohnhäusern der Oak Group. In der Werkstatt arbeiten aber auch Menschen aus den anderen Gruppen oder Leute, die zum Beispiel noch bei ihren Eltern wohnen können. Andere Bewohner begleiten wir zum Garten, der ca. 15 Minuten zu Fuß entfernt liegt. Und wieder andere werden, wie bereits erwähnt, von Assistants mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zum College gebracht.
Nachmittags werden manche Bewohner zu verschiedenen Aktivitäten begleitet. Montags gibt es einen Musik Kurs speziell für Menschen mit Lernbehinderungen, zu dem wir mit dem Taxi fahren, weil die Strecke recht lang ist. Manche Bewohner haben Einzel-Musiktherapie, andere Yoga, Sport oder Physiotherapie, gehen Schwimmen oder haben eine Art Reiztherapie (Reflexologie), bei der ihre Sinne mit Licht, Klang und Gegenständen angeregt werden sollen. Bei einem Teil sind Assistants anwesend und bei anderen Aktivitäten bereiten wir nur den Raum vor, weil die Aktivität zu Hause stattfindet. Im College belegen die Menschen je nach Interesse und finanziellen Mitteln Kurse wie Kochen, IT (sie lernen mit ihren iPads und Smartphones umzugehen), machen Sport, erlernen Alltagsfähigkeiten, wie das sichere Überqueren einer Straße und den Umgang mit Geld, oder haben Wellness-Kurse, in denen sie sich gegenseitig schminken und frisieren.
Unter der Woche sind eigentlich alle Core Members ab 17 Uhr wieder im Haus. Sie entspannen sich, gucken Fernsehen, hören Radio oder gehen anderen Interessen wie Puzzeln oder Malen nach. Alle Core Members haben wochentags mindestens einmal, meistens nachmittags, one-to-one Zeit – also Zeit, in der ein Assistant nur für sie alleine da ist. Wir gehen dann zum Beispiel für das Abendessen, das sie dann oft am nächsten Tag kochen, einkaufen, gehen zur Bank oder rekapitulieren beispielsweise den letzten Urlaub und gehen den Plan für die kommende Woche durch. Jeder Bewohner hat einen Plan mit Piktogrammen für seine Aktivitäten der Woche und Bildern der Assistants, die an den jeweiligen Tagen anwesend sind, bei sich im Zimmer.
Es wird Nachmittags meistens Tee und Kaffee getrunken und Obst gegessen. Dann bereitet einer der Bewohner das Abendessen vor. Jeder hat einen festen Wochentag, an dem er oder sie kochen darf. Manche Menschen haben immer andere Ideen, ein Bewohner sucht sich beispielsweise immer im Internet oder in Magazinen Rezepte aus, andere Bewohner möchten meist mehr oder weniger dasselbe zubereiten, aber wir können immer ein bisschen variieren. Wenn der Bewohner beispielsweise Hühnchen auswählt, bereiten wir das Fleisch dann auf verschiedene Weisen zu. Es gibt immer ein Hauptgericht, bestehend aus Gemüse, meist Kartoffeln, Nudeln oder Reis, oftmals ein bisschen Fleisch oder Fisch und immer einem großen Salat. Je nach Fähigkeiten helfen die Bewohner bei der Zubereitung mit, schneiden das Gemüse, machen den Salat und decken den Tisch. Das eigentliche Kochen wird allerdings aus Sicherheitsgründen von den Assistants durchgeführt. Die Person, die an diesem Abend kochen darf, eröffnet das Essen mit einem Gebet, spült auch je nach Fähigkeiten nach dem Essen ab und räumt die Spülmaschine ein. Wir helfen beim Essen, indem wir beispielsweise die Knochen aus dem Fleisch herauslösen oder das Essen kleinschneiden, damit die Personen sich nicht so leicht verschlucken. Zum Nachtisch gibt es oft Obst. Da nicht alle Core Member Interesse am Kochen haben und es nur fünf Bewohner im Haus gibt, wählen die Assistants das Essen an den übrigen Tagen aus und kochen alleine. Anschließend beginnt die Abendroutine, Medikamente werden ausgegeben bzw. verabreicht, es wird geduscht und die Zähne werden geputzt. Manche Menschen gucken noch Fernsehen im Wohnzimmer oder beschäftigen sich auf ihren Zimmern.
Unter der Woche gibt es aber auch noch einige andere Ereignisse. Montagsabends ist im Elmstone immer das Haus-Meeting mit allen Bewohnern, bei dem die vergangene Woche reflektiert wird: Was war gut? Was war schlecht? Ein Core Member leitet das Meeting, heißt alle willkommen, zündet mit Unterstützung eine Kerze an, sucht sich ein Gebet und eine kurze Geschichte aus, die vorgelesen wird und alle dürfen, sofern sie möchten, ein Gebet sprechen. Anschließend wird entweder das Gebet der Arche aufgesagt oder das Vater Unser. Am Ende gehen wir den Plan für die nächste Woche durch.