Erfahrungsbericht L'Arche Portland, USA

Sophia, Einsatzzeit: 2016 - 2017

Am 29. August 2016 ging es für mich also los. Ein Jahr ganz weit weg von Familie und Freunden konnte beginnen. Meine Reise startete in Frankfurt und führte mich über Amsterdam nach Portland. Nachdem ich an beiden Flughäfen meine Flüge beinahe verpasst hätte, lief in Portland alles wunderbar. Nach insgesamt 20 Stunden Reise wurde von meinem zukünftigen Mitbewohner Sean herzlich in Empfang genommen. Mit jeder Meile, die wir meinem neuen Zuhause näher kamen stieg meine Nervosität, aber somit auch die Vorfreude!

 

Schon während der Autofahrt hat mir Sean unglaublich viel über die L’Arche Portland Community erzählt, doch das alles und noch viel mehr durfte ich in meinen ersten Tagen selbst sehen und erleben.

 

L'Arche Portland hat zwei Häuser, die rund eine Meile (also circa 1,6 km) voneinander entfernt sind – Nehalem & Neahkahnie. Ich lebe im Nehalem House, das ältere der beiden Häuser. Nehalem ist eine uramerikanischen Volksgruppe an der Küste Oregons. Das Wort bedeutet so viel wie "dwelling in peace". In unserem Haus leben vier Core Member und außer mir noch vier weitere Assistants.

 

Die ganze Community, und dabei ganz besonders das Haus in dem ich wohne, hat mir meine Ankunft und das Einleben sehr erleichtert, denn von Anfang an wurde ich von allen akzeptiert und unterstützt. Nach etwa einem Monat war ich dann soweit gut eingelernt, hatte einen bestätigten Backgroundcheck und konnte daraufhin auch bald selbständig Medikamente geben.

 

Mein Arbeitsalltag

 

Mein „Arbeits“-Alltag könnt ihr euch wie folgt vorstellen:

 

Mein Morgen beginnt für gewöhnlich um 6 Uhr. Die Core Member werden geweckt und für die Arbeit fertig gemacht. Dazu gehört umziehen, duschen, Frühstück machen und Medikamente geben, wobei die Art der Unterstützung sich unterhalb der Core Member sehr unterscheidet. Um Medikamente geben zu können habe ich ein extra Training abgeschlossen, in dem ich über Wirkung und Nebenwirkungen jedes Medikamentes aufgeklärt wurde, aber auch welche Dinge beim Vorbereiten besonders wichtig sind.

 

Falls die Busse einmal keine Verspätung haben wurden dann spätestens um 8 Uhr alle zur Arbeit abgeholt und wir sind erstmal alleine. Unsere Vormittage sind jedoch sehr Wochentag abhängig. Mittwochs zum Beispiel haben wir immer „Formation“, was bedeutet, dass sich die ganze Community trifft um über ein bestimmtes Thema zu reden. Dabei geht es um Themen, die L’Arche allgemein betreffen oder aber auch nur unsere Community, Spiritualität und Glauben, Medikamente und Krankheiten, Gastfreundschaft. Wie ihr seht kann ich hier nicht alles aufzählen, da es immer sehr variiert. Donnerstags hingegen haben wir ein insgesamt dreistündiges Meeting, welches aufgeteilt ist in ein House-Meeting (Nehalem House) und Big-Meeting (Nehalem House, Neahkahnie House & Office). Nachdem unsere Meetings dann beendet sind kommt Marilyn wie jeden Tag als erste der Core Member um 12 Uhr nach Hause.

 

Allerspätestens um halb vier sind dann endlich alle Zuhause. Unsere Nachmittage kann man sich wie in einer Großfamilie vorstellen – lesen, malen, Musik hören, tanzen, schwimmen, einen Film anschauen, auf lange Spaziergänge gehen, zum Tee trinken weg gehen, putzen, Wäsche machen oder auch einfach nur reden … alles ist dabei. In dieser Zeit ist auch immer ein Assistant zum Kochen zuständig, was oft sehr viel Kreativität und Improvisation erfordert, da unser Kühlschrank spätestens zum Ende der Woche hin sehr leer ist und auch gewisse Unverträglichkeiten beachtet werden müssen. Um 17.30 ist es dann soweit … nachdem Marilyn den Tisch gedeckt hat versammeln wir uns alle dort und sind jedes Mal aufs Neue erstaunt, was aus unseren Vorräten gezaubert werden konnte.

 

Den restlichen Abend genießen wir dann meistens zusammen, richten Lunch für die Core Member zum Mitnehmen auf die Arbeit und erledigen die restlichen Dinge, die auf unserer To-Do-Liste noch übrig geblieben sind. Dann neigt sich der Tag auch schon seinem Ende zu, um 9 Uhr haben wir schließlich alle Core Member zu Bett gebracht (wobei der ein oder andere auch gerne mal noch im Haus rumgeistert).

 

Insgesamt arbeite ich jeden Tag 9 Stunden, wobei wir es nicht „arbeiten“ nennen, sondern die Bezeichnung „Zeit teilen“ bevorzugen, was es letztendlich auch ist, da wir auch große Teile unserer freien Zeit mit den Core Member verbringen. Nun habe ich euch von meinem Alltag erzählt, doch kein Tag ist gleich wie der Vorherige, jeder Tag ist geprägt von einzigartigen und berührenden Momenten!

 

Teil unseres Alltags sind auch viele Feierlichkeiten. So haben wir zum Beispiel verschiedene Gebetsnächte, eine Pizza Nacht, Geburtstage oder auch Jahrestage, die wir alle zusammen mit dem anderen Haus und Freunden der Community feiern.

 

Feste und Feiern

 

Am 24. November durfte ich zum ersten Mal Thanksgiving erleben und feiern. Die Vorbereitung hat schon viele Tage vorher damit angefangen sämtliche Freunde der Community anzurufen und einzuladen. So kam es, dass wir mit ungefähr 30 Leuten im Neahkahnie Haus Thanksgiving verbracht haben. An Thanksgiving geht es vor allem um das „Danke“ sagen, weshalb wir reihum gesagt haben, für was wir dieses Jahr besonders dankbar sind. Danach ging es ganz traditionell weiter mit Truthahn essen bevor wir mit vollen Bäuchen und einer guten Stimmung im Gepäck wieder Zuhause angekommen sind.

 

Ein anderes jährliches Highlight ist die L’Arche Portland Benefit Celebration. Mehr als 400 Menschen, die alle mit L’Arche verbunden sind versammeln sich, um zusammen zu bieten, zu spenden und einen schönen Abend mit einzigartigen Menschen verbringen zu können. Insgesamt wurden mehr als 76.000$ gesammelt, mit denen unsere Community, aber auch andere L’Arche Communities weltweit unterstützt werden!

 

Neben all den Feierlichkeiten und dem Alltag im Nehalem House habe ich natürlich auch Freizeit. Zwei Tage die Woche habe ich immer frei und diese versuche ich meist möglichst sinnvoll zu nutzen. Glücklicherweise sind alle meine Housemates sehr aktive Menschen und es findet sich immer jemand, mit dem ich zusammen wandern kann. Da Megan und ich einen gleichen freien Tag haben konnten wir gemeinsam Portland, aber auch den inneren Teil Oregons schon zusammen erkunden. Die Landschaft ist wirklich wunderschön und sehr vielfältig. Wald, Wüste, Wasserfälle, Berge, Schnee und Meer – alles ist vertreten! Die einzigartigen und erstaunlichen Ausblicke kann ich gar nicht in Wort fassen.

 

Go green

 

Portland hat den Ruf eine sehr grüne Stadt zu sein. Und das stimmt tatsächlich auch! Im Vergleich zu den meisten anderen amerikanischen Städten gibt es hier nämlich unglaublich viele Bäume und Parks, zu denen auch der Forest Park, der weltgrößte Park, gehört.

 

Doch nicht nur in dieser Hinsicht ist Portland sehr grün, denn generell wird auf Nachhaltigkeit und Umwelt sehr viel Wert gelegt. Es gibt ein großes Netz an Fahrradstraßen, die sehr gut ausgeschildert sind und durch die ganze Stadt führen. So kommt es, dass ich von unserem Haus mit dem Fahrrad genauso lange nach Downtown brauche, wie mit dem Bus.

 

Jedoch solltet ihr jetzt nicht denken, dass die Leute hier wenn es wie so oft mal wieder regnet, auf den Bus umsteigen, denn nass werden gilt hier nicht als Entschuldigung. Stattdessen werden die Regenhosen ausgepackt! Auch Regenschirme sehe ich hier eher selten. Wer nicht mindestens einmal im Regen Fahrrad gefahren ist hat das wahre Portland noch nicht kennen gelernt!

 

Außerdem gibt es in Portland im Vergleich zu jeder anderen Stadt wahrscheinlich den größten Anteil an Second-Hand-Läden, die auch von so gut wie Jedem benutzt werden, denn Recycling und „Upcycling“ spielt hier eine große Rolle! Generell scheint es in Portland einfacher zu sein, als sonst irgendwo, seinen eigenen ganz besonderen Lebensstil zu haben. Wohin man auch blickt, es gibt immer mehr als genug Möglichkeiten sich vegan, Gluten frei oder anders speziell zu ernähren!

 

Auch in unserem Haus wird das Thema Nachhaltigkeit groß geschrieben! Wenn wir einmal die Woche einkaufen gehen verlassen wir den Bio-Bereich im Supermarkt selten, nicht mal für Waschmittel, denn das stellen wir lieber selbst her!

 

Mission Überlebenschancen steigern erfolgreich!

 

Hätte mir einer gesagt, dass ich nach diesem Jahr fähig sein werde meinen eigenen Haushalt zu führen hätte ich vermutlich nicht so überzeugt den Kopf geschüttelt. Bevor ich meine Reise angetreten habe durfte ich mir besonders von meiner Familie des Öfteren sagen lassen, dass ich doch mal ein bisschen kochen üben solle, bevor ich in Portland für zehn Menschen kochen muss, denn meine Fähigkeiten beschränkten sich bis dahin auf das aller Einfachste. Doch diese Zeiten sind vorbei, das kann ich euch beruhigt versichern!

 

Auch mit Banken, Versicherungen und Ärzten kenne ich mich mittlerweile bestens aus, da jeder der Assistants in unserem Haus einen Core Member zugeteilt bekommen hat, für dessen Papierkram er oder sie zuständig ist. So bin ich für Joni zuständig, für die ich auch einmal wöchentlich sozusagen Tagebuch schreiben darf und dabei ihre Erlebnisse, Fortschritte und Unterstützung festhalte.

 

Selbstverständlich hat sich auch mein Englisch verbessert! Jegliche Art von Unterhaltung ist überhaupt kein Problem und es ist immer wieder schön Komplimente dafür zu bekommen, dass ich mich gar nicht so richtig Deutsch anhöre!

 

Was mich mit Sicherheit auch für mein Leben prägen wird ist die Einstellung die L’Arche weltweit prägt! Dazu gehört die Einfachheit, mit der hier gelebt wird, die Art wie das Leben geteilt wird und wie jeder willkommen geheißen wird. Jeder Mensch hat den gleichen einzigartigen und ehrwürdigen.